Kleine Plauderei von Fritz Kuder, Adelhausen (ca. 1966) mit einer Einleitung von Daniel Kähny
Heute gibt es eine Geschichte von Onkel Fritz Kuder, die 1966 im Markgräfler Tagblatt erschienen ist. Wir hatten ja schon einige Geschichten von ihm veröffentlicht:
- Schulausflug mit Sex
- Die Kindstaufe
- Joggelis Weihnachtsbeichte
- Heinrich Janßen - der reitende Pater
- Mit Fritz Kuder von Adelhausen nach Schopfheim
Vom Hauptdarsteller der heutigen Geschichte hatte uns sowohl mein Großvater als auch Onkel Hermann erzählt. So scheint sie einen wahren Hintergrund zu haben.
Severin Krieg – der Sonderling vom Dinkelberg
geschrieben von Fritz Kuder (geb. 1897 / gest. 1983)
geschrieben von Fritz Kuder (geb. 1897 / gest. 1983)
Die nachstehende Erzählung führt uns zurück in die Jahre vor und kurz nach dem ersten Weltkrieg, hin zu den Höhen des Dinkelberges. Für die ältere Generation der Dinkelbergdörfer wird sie eine liebe alte Erinnerung wieder neu beleben, und der Jugend soll sie ein bißchen Dorfromantik aus früherer Zeit vermitteln. Die mittlere Generation wird sich beim Lesen dieser Zeilen daran erinnern, daß Vater oder Mutter schon früher von der Hauptgestalt dieser Schilderung erzählt hat.
Severin Krieg, so hieß er, der Sonderling vom Dinkelberg. Er war kein Einheimischer. Schon an seiner hochdeutschen Sprache konnte man erkennen, daß er nicht aus dem alemannischen Sprachraum stammte. Sie bildete einen Gegensatz zu dem schweren alemannischen Dialekt der Dinkelbergbauern. Dadurch, aber auch durch seine gewählte und feine Ausdrucksweise, war er für sie ein "Anderer", ein "Herr". Auch in bezug auf seine Herkunft und sein Erscheinen, seine frühere Tätigkeit, gab er den Landleuten Rätsel auf, die sie auch später nicht lösen konnten.
Um das Jahr 1903 erschien er auf einmal auf dem Dinkelberg. Woher er gekommen, was ihn, den "Fremden", an den südlichen Rand des Schwarzwaldes getrieben, wußte niemand, denn der neue Bergbürger war gegenüber seinen neuen Mitmenschen nicht so mitteilsam. Seine Welt war für ihn eine andere und nur für ihn da. Um das Leben seiner Mitmenschen und das persönliche Wohlergehen eines Einzelnen kümmerte er sich nicht. Das steigerte die Neugier der Bauersleute mit ihrem engbegrenzten Alltag noch mehr.
Durch seine gewählte hochdeutsche Sprache sahen viele in ihm einen früheren Gelehrten, andere einen früheren Künstler, den die Phantasie über den Rand eines natürlichen Lebens hinausgeworfen, für wieder andere konnte es eine unglückliche Liebe gewesen sein. Aber auch seine äußere Erscheinung: dunkelbraunes Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte, dazu ein struppiger Vollbart, darunter aber ein durchgeistigtes Haupt, sein Gang immer beschwingt, wie der eines ewigen Träumers, das alles paßte nicht so recht in das gewohnte Lebensbild der Bergmenschen.
Seine große und stattliche Figur zielte immer nach oben, sein Blick war stets bei den Wolken, während der von den Landwirten hin zur Erde mit ihren Fruchtspenden gelenkt wurde. Die Kleidung unseres Sonderlings war keiner großen Mode unterworfen und paßte schon besser zu der der Landmänner. Zwei grüne Lodenjoppen, eine bessere für den Sonntag, die andere für werktags, dazu zwei Baumwollhemden, eingeteilt für die gleichen Zwecke und farbige Baumwollhemden, das war seine große Garderobe, die von Zeit zu Zeit erneuert wurde, aber farblich immer gleich blieb. Er hielt es mit den Mönchen. Seine derben Schuhe, werktags wie eine ländliche Batik, sonntags aber gewichst, dienten ihm für seine Gewaltmärsche, von denen wir noch später hören werden. Er ging bei jedem Wetter immer hutlos, auch das kannte man damals auf dem Lande noch nicht. Einmal kaufte er sich so ein Requisit, als es aber von einem Windstoß von seinem Kopfe getragen wurde, überließ er es diesem für immer.
Einen festen Wohnsitz kannte er nicht, seine Wohnung war der ganze Dinkelberg: Scheunen und Schuppen der Bauern, das waren seine Wohnräume und blieben es auch, solange er lebte. Auf einfachen Lagerstätten aus Stroh und einer Wolldecke, da träumte er wie in einem Himmelbett. Auch die transportable Einrichtung seines Schlafgemaches bestand nur aus einer Spiegelscherbe, einem Kamm und Putzzeug. Er nahm sie mit von Dorf zu Dorf. Man müßte nun annehmen, er wäre in solch einer häuslichen Umgebung dem Schmutz verfallen, das war aber nie der Fall. Körper und Kleidung waren stets sauber, wiesen eine gewisse Pflege auf.
In den etwas seltenen Schlafstätten lagerten auch seine Arbeitsmaterialien, die er für seine Tätigkeit brauchte. Es waren Farbtöpfe, Quasten, Pinsel und Farben. Bauernzimmer und Bauernhäuser verschönerte er, machte also Arbeiten, die heute ein Anstreicher ausführt, aber, er konnte mehr. Seine Auftraggeber mußten ihn in bezug auf Form- und Farbgestaltung immer besänftigen, sonst hätte er aus den Stuben und Küchen Phantasieräume gemacht, die bei der heutigen Kunstbetrachtung vielleicht ganz wertvolle Gebilde geworden wären. Seine gemalten Schriften, ob Antiqua oder Fraktur, waren wie gestochen, seine gemalten Maserungen auf Schränken und Bettgestellen wirkten so echt, daß man sie von den Naturformen nicht unterscheiden konnte. Seine in der Freizeit angefertigten Malereien und Zeichnungen ließen ein hohes Können erkennen, das weit über ein Anstreichertalent hinausreichte. Man hatte das Empfinden, als wären seine Anstreicherarbeiten auf dem Dinkelberg nur eine Not- und Brothilfe gewesen. Seine typischen spitzen Malerfinger konnten besser mit Palette und Künstlerfarben umgehen, als mit einer Quaste.
Severin Krieg, so hieß er, der Sonderling vom Dinkelberg. Er war kein Einheimischer. Schon an seiner hochdeutschen Sprache konnte man erkennen, daß er nicht aus dem alemannischen Sprachraum stammte. Sie bildete einen Gegensatz zu dem schweren alemannischen Dialekt der Dinkelbergbauern. Dadurch, aber auch durch seine gewählte und feine Ausdrucksweise, war er für sie ein "Anderer", ein "Herr". Auch in bezug auf seine Herkunft und sein Erscheinen, seine frühere Tätigkeit, gab er den Landleuten Rätsel auf, die sie auch später nicht lösen konnten.
Um das Jahr 1903 erschien er auf einmal auf dem Dinkelberg. Woher er gekommen, was ihn, den "Fremden", an den südlichen Rand des Schwarzwaldes getrieben, wußte niemand, denn der neue Bergbürger war gegenüber seinen neuen Mitmenschen nicht so mitteilsam. Seine Welt war für ihn eine andere und nur für ihn da. Um das Leben seiner Mitmenschen und das persönliche Wohlergehen eines Einzelnen kümmerte er sich nicht. Das steigerte die Neugier der Bauersleute mit ihrem engbegrenzten Alltag noch mehr.
Durch seine gewählte hochdeutsche Sprache sahen viele in ihm einen früheren Gelehrten, andere einen früheren Künstler, den die Phantasie über den Rand eines natürlichen Lebens hinausgeworfen, für wieder andere konnte es eine unglückliche Liebe gewesen sein. Aber auch seine äußere Erscheinung: dunkelbraunes Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte, dazu ein struppiger Vollbart, darunter aber ein durchgeistigtes Haupt, sein Gang immer beschwingt, wie der eines ewigen Träumers, das alles paßte nicht so recht in das gewohnte Lebensbild der Bergmenschen.
Seine große und stattliche Figur zielte immer nach oben, sein Blick war stets bei den Wolken, während der von den Landwirten hin zur Erde mit ihren Fruchtspenden gelenkt wurde. Die Kleidung unseres Sonderlings war keiner großen Mode unterworfen und paßte schon besser zu der der Landmänner. Zwei grüne Lodenjoppen, eine bessere für den Sonntag, die andere für werktags, dazu zwei Baumwollhemden, eingeteilt für die gleichen Zwecke und farbige Baumwollhemden, das war seine große Garderobe, die von Zeit zu Zeit erneuert wurde, aber farblich immer gleich blieb. Er hielt es mit den Mönchen. Seine derben Schuhe, werktags wie eine ländliche Batik, sonntags aber gewichst, dienten ihm für seine Gewaltmärsche, von denen wir noch später hören werden. Er ging bei jedem Wetter immer hutlos, auch das kannte man damals auf dem Lande noch nicht. Einmal kaufte er sich so ein Requisit, als es aber von einem Windstoß von seinem Kopfe getragen wurde, überließ er es diesem für immer.
Einen festen Wohnsitz kannte er nicht, seine Wohnung war der ganze Dinkelberg: Scheunen und Schuppen der Bauern, das waren seine Wohnräume und blieben es auch, solange er lebte. Auf einfachen Lagerstätten aus Stroh und einer Wolldecke, da träumte er wie in einem Himmelbett. Auch die transportable Einrichtung seines Schlafgemaches bestand nur aus einer Spiegelscherbe, einem Kamm und Putzzeug. Er nahm sie mit von Dorf zu Dorf. Man müßte nun annehmen, er wäre in solch einer häuslichen Umgebung dem Schmutz verfallen, das war aber nie der Fall. Körper und Kleidung waren stets sauber, wiesen eine gewisse Pflege auf.
In den etwas seltenen Schlafstätten lagerten auch seine Arbeitsmaterialien, die er für seine Tätigkeit brauchte. Es waren Farbtöpfe, Quasten, Pinsel und Farben. Bauernzimmer und Bauernhäuser verschönerte er, machte also Arbeiten, die heute ein Anstreicher ausführt, aber, er konnte mehr. Seine Auftraggeber mußten ihn in bezug auf Form- und Farbgestaltung immer besänftigen, sonst hätte er aus den Stuben und Küchen Phantasieräume gemacht, die bei der heutigen Kunstbetrachtung vielleicht ganz wertvolle Gebilde geworden wären. Seine gemalten Schriften, ob Antiqua oder Fraktur, waren wie gestochen, seine gemalten Maserungen auf Schränken und Bettgestellen wirkten so echt, daß man sie von den Naturformen nicht unterscheiden konnte. Seine in der Freizeit angefertigten Malereien und Zeichnungen ließen ein hohes Können erkennen, das weit über ein Anstreichertalent hinausreichte. Man hatte das Empfinden, als wären seine Anstreicherarbeiten auf dem Dinkelberg nur eine Not- und Brothilfe gewesen. Seine typischen spitzen Malerfinger konnten besser mit Palette und Künstlerfarben umgehen, als mit einer Quaste.
Severins Blick war der eines Künstlers
Auch sein Blick war der eines Künstlers. Das für fast alle Künstler so charakteristische Auge eines (Decó) Degas oder (Renoars) Renoirs, das die Welt nur in Form und Farbe sieht, anders als das der gewöhnlichen Mitmenschen, dieses geschulte Auge durfte auch unser Fremdling sein eigen nennen. Der gerade und für jeden erforschbare Blick der Landleute war ein anderer, wenn er nicht gerade einem "Schlaubauer" gehörte. Die Arbeitsplätze unseres "Severin", Bauernstuben und Schlafräume, übten auf uns Kinder immer eine gewisse Anziehungskraft aus, denn er führte während seiner Tätigkeit Selbstgespräche. Sie waren an die Berge, den schönen Himmel, die Sterne, die Wälder und die schönen Sennerinnen gerichtet. Da war für uns viel Neues dabei, das wir hören mußten. Seine Lieder: von Hohenzollerns steilen Felsen, den schönen Alpen, dem Frühling, der Liebe zu einer Sennerin und auch alte Studentenlieder, jubilierte er mit Moritatenelan nur so durch die Räume. Diese letztere Feststellung könnte ihm ein primitives Dienstmädchengemüt andichten. So war es aber nicht, durch seine praktischen Leistungen schlug er viele Betrachter in seinen Bann. Daß er ein Träumer war, das wußten alle, aber es war halt seine Welt, aus der er sich durch niemanden verdrängen ließ. So hielt er auch plötzlich in seiner Arbeit inne, legte Pinsel und Farbe beiseite und zog sich eine ältere Joppe an. Gerade so, als würde ihn ein fremder Geist rufen, stürmte er davon, Wir Kinder konnten uns noch rechtzeitig und unbemerkt verstecken. Weg war er. Seine Gedankenwelt hat nach ihm verlangt, er mußte zu ihr.
Straßen, Wege und Stege waren für ihn Hindernisse. In kerzengeraden Märschen, durch Felder und Wälder, strebte er seine Ziele an, die oft über zehn Kilometer vom Dinkelberg entfernt lagen. Hohe Möhr, Hohe Flum, St. Chrischona, Schweigmatt, ja sogar der Bergsee, das waren Zielpunkte, die er auch noch spät abends oder nachmittags ansteuerte. Mit den Tälern hatte er es nicht. Sie beengten seinen Blick. Weit mußte er schauen, wenn er die Gebilde seiner Träume sehen wollte. Was er diesen erzählte, konnten wir leider nicht erfahren. Zu gerne wären wir ihm auf seinen Wanderungen gefolgt, aber das konnte kaum ein Großer, so schnell waren seine Schritte.
Ein Fremder, der ihn quer durch den Lörracher-, Stettener-, Nollinger-, Adelhauser-, Wiechser-, Inzlinger-, oder Hagenbacher- Wald auf sich zukommen sah, wäre aus Angst vor ihm davon gelaufen, denn mit seiner wehenden Mähne und dem struppigen Vollbart sah er aus wie ein Rübezahl vom Riesengebirge. Er aber tat niemanden etwas zuleide, nahm niemanden etwas weg, deshalb liebten ihn auch alle. Die Bauern hatten auch nichts dagegen, wenn er ihre Felder als Wege benutzte, er war doch ihr Severin. Begegneten ihm die Einheimischen im Walde, lachten sie nur, wenn er ihre Wege kreuzte, man war nicht bange vor ihm. Er hat seine Auftraggeber auch niemals finanziell irgendwie benachteiligt. Seine Ansprüche an das Leben waren klein, so konnte er es sich auch erlauben, seine Arbeitszeit zu verkürzen, um seinen Träumen zu huldigen. Diese Stunden wurden nicht berechnet. Es gehörte schon etwas Mut und Stärke dazu, das Leben so als "Einzelner" zu durchwandern und auf so Vieles Verzicht zu leisten. Er wollte es nicht anders und war glücklich dabei. Die traumhafte Gestaltung seiner Umwelt war ihm auch Stütze und Hilfe an so manchem Abend, wenn er bei Kerzenlicht in seinem primitiven Raum saß. Man erzählte sich allerdings auch, daß er in Lörrach einem feinen Stammtisch angehört hätte, den er des öfteren aufgesucht haben soll.
War die Woche um, kam auch für ihn der Ruhetag, der Sonntag. Am Vormittag machte er "Wochentoilette". Wohl eine ganze Stunde saß er vor seinem Spiegelscherben und säuberte und kämmte seine Mähne und seinen Bart. Im Sommer ging er oft in den Rhein baden, im Winter hielt er es mit den Bauern, die hatten ja damals auch keine Bademöglichkeit. So gingen die Jahre dahin, bis der erste Weltkrieg ausbrach. Unser Künstler war schon über das wehrfähige Alter hinaus, wahrscheinlich für Kriegsdienste auch untauglich. Er wollte aber trotzdem ein guter Untertan sein. In den Abendstunden und an den Sonntagen machte er mit der männlichen Jugend des Rheintales Marsch- und Körperübungen, um sie für die Dienste am Vaterland vorzubereiten. Er verrichtete aber noch ein anderes gutes Werk. Vielen abwesenden Söhnen des Dinkelberges zeichnete er auf Feldpostkarten ihre Elternhäuser und schickte sie ihnen an die Front. So hat er auch im Kriege niemand weh, aber vielen wohl getan.
Nach 1918 kehrte er wieder endgültig zu seinen früheren Arbeitsplätzen zurück und malte wieder Bauernstuben, Schlafräume und Häuser aus und an. Sein Leben nahm wieder Friedensformen an. Doch eines schönen Morgens fand ihn ein Landwirt aus Eichsel in einer Ackerfurche liegend. Unser langjähriger Bergfreund und Kamerad war krank. Krank lag er bei Mutter Grün, der er seine große Lebensliebe geschenkt hatte. Es war, als wollte er dort auch sterben, aber man brachte ihn in einen Raum des Gemeindehauses und pflegte ihn. Die Mühen waren umsonst, nach drei Tagen starb er.
So seltsam wie er gelebt, so ist er auch gestorben. Der Natur ist er treu geblieben, bis ihn seine physischen Kräfte verließen
Straßen, Wege und Stege waren für ihn Hindernisse. In kerzengeraden Märschen, durch Felder und Wälder, strebte er seine Ziele an, die oft über zehn Kilometer vom Dinkelberg entfernt lagen. Hohe Möhr, Hohe Flum, St. Chrischona, Schweigmatt, ja sogar der Bergsee, das waren Zielpunkte, die er auch noch spät abends oder nachmittags ansteuerte. Mit den Tälern hatte er es nicht. Sie beengten seinen Blick. Weit mußte er schauen, wenn er die Gebilde seiner Träume sehen wollte. Was er diesen erzählte, konnten wir leider nicht erfahren. Zu gerne wären wir ihm auf seinen Wanderungen gefolgt, aber das konnte kaum ein Großer, so schnell waren seine Schritte.
Ein Fremder, der ihn quer durch den Lörracher-, Stettener-, Nollinger-, Adelhauser-, Wiechser-, Inzlinger-, oder Hagenbacher- Wald auf sich zukommen sah, wäre aus Angst vor ihm davon gelaufen, denn mit seiner wehenden Mähne und dem struppigen Vollbart sah er aus wie ein Rübezahl vom Riesengebirge. Er aber tat niemanden etwas zuleide, nahm niemanden etwas weg, deshalb liebten ihn auch alle. Die Bauern hatten auch nichts dagegen, wenn er ihre Felder als Wege benutzte, er war doch ihr Severin. Begegneten ihm die Einheimischen im Walde, lachten sie nur, wenn er ihre Wege kreuzte, man war nicht bange vor ihm. Er hat seine Auftraggeber auch niemals finanziell irgendwie benachteiligt. Seine Ansprüche an das Leben waren klein, so konnte er es sich auch erlauben, seine Arbeitszeit zu verkürzen, um seinen Träumen zu huldigen. Diese Stunden wurden nicht berechnet. Es gehörte schon etwas Mut und Stärke dazu, das Leben so als "Einzelner" zu durchwandern und auf so Vieles Verzicht zu leisten. Er wollte es nicht anders und war glücklich dabei. Die traumhafte Gestaltung seiner Umwelt war ihm auch Stütze und Hilfe an so manchem Abend, wenn er bei Kerzenlicht in seinem primitiven Raum saß. Man erzählte sich allerdings auch, daß er in Lörrach einem feinen Stammtisch angehört hätte, den er des öfteren aufgesucht haben soll.
War die Woche um, kam auch für ihn der Ruhetag, der Sonntag. Am Vormittag machte er "Wochentoilette". Wohl eine ganze Stunde saß er vor seinem Spiegelscherben und säuberte und kämmte seine Mähne und seinen Bart. Im Sommer ging er oft in den Rhein baden, im Winter hielt er es mit den Bauern, die hatten ja damals auch keine Bademöglichkeit. So gingen die Jahre dahin, bis der erste Weltkrieg ausbrach. Unser Künstler war schon über das wehrfähige Alter hinaus, wahrscheinlich für Kriegsdienste auch untauglich. Er wollte aber trotzdem ein guter Untertan sein. In den Abendstunden und an den Sonntagen machte er mit der männlichen Jugend des Rheintales Marsch- und Körperübungen, um sie für die Dienste am Vaterland vorzubereiten. Er verrichtete aber noch ein anderes gutes Werk. Vielen abwesenden Söhnen des Dinkelberges zeichnete er auf Feldpostkarten ihre Elternhäuser und schickte sie ihnen an die Front. So hat er auch im Kriege niemand weh, aber vielen wohl getan.
Nach 1918 kehrte er wieder endgültig zu seinen früheren Arbeitsplätzen zurück und malte wieder Bauernstuben, Schlafräume und Häuser aus und an. Sein Leben nahm wieder Friedensformen an. Doch eines schönen Morgens fand ihn ein Landwirt aus Eichsel in einer Ackerfurche liegend. Unser langjähriger Bergfreund und Kamerad war krank. Krank lag er bei Mutter Grün, der er seine große Lebensliebe geschenkt hatte. Es war, als wollte er dort auch sterben, aber man brachte ihn in einen Raum des Gemeindehauses und pflegte ihn. Die Mühen waren umsonst, nach drei Tagen starb er.
So seltsam wie er gelebt, so ist er auch gestorben. Der Natur ist er treu geblieben, bis ihn seine physischen Kräfte verließen