Zu Weihnachten gibt es eine Geschichte von Onkel Fritz Kuder (geb. 1897 / gest. 1983), die vor ziemlich genau 53 Jahren im Markgräler Tagblatt veröffentlicht wurde. Auch diese Geschichte spiegelt den damaligen Zeitgeist, Erzählweise, Heimatverbundenheit und die enge Verzahnung zwischen Kirche und Bevölkerung wieder.

Weitere Geschichten von Onkel Fritz

Viel Spaß beim Lesen einer weiteren Geschichte.

 

Joggelis Weihnachtsbeichte (geschrieben von Fritz Kuder)

"Gell, Joggeli, Du haltsch au dy Wyhnachte." So sprach Klementine, die Ehefrau vom Joggeli und Bäuerin des Hauses, als der Joggeli grad im Begriff war, die Bauernstube zu verlassen. Das rechte Bein hatte er schon angezogen, um über die Türschwelle zu treten. In dieser Haltung blieb er stehen und drehte nur den Kopf nach links, in Richtung Klementine.

"Was häsch gsait, Klementine?" Er hatte gut verstanden, was seine Frau zu ihm sagte, aber es kam etwas überraschend für ihn, deshalb auch die starre Haltung über der Schwelle. "Jo", sagte er nur und ging in den Stall. Das Beichten fiel ihm immer schwer, wenn er auch kein extra harter Sünder war. Er hat schon mal "gedammeret", wenn etwas nicht klappte, aber das ist in Süddeutschland ja keine Sünde, mehr eine kurze Unterhaltung mit Gott und eine Bitte um Hilfe, wenn etwas nicht klappte.

Seine Klementine mußte schon mal eine Notlüge hinnehmen, wenn er spät nach Hause kam, hinter schönen Mädchen und jungen Frauen hat er auch mal geäugelt, manchmal auch mit einem stillen Wunsch in seinem Bauernherzen. Fastnacht hat er so ein bißchen abseits im Saal auch schon mal mit einer anderen Holden "g'schmützlet", aber richtig betrogen hat er seine Frau eigentlich nie. Holz gestohlen hat er auch nicht, außer dem Christbäumchen, das er wie alle anderen Jahr aus "Grethers Wald" holte. Ich schreibe "holte", denn das war kein Stehlen, das ist eine Volkssitte, die im Schwarzwald heute noch besteht. In meinem Artikel "Die Holzhacker von Adelhausen" habe ich dies auch näher begründet.

Wir sehen also, daß unser Joggeli kein allzugroßer Sünder war. Die alemannische Offenheit hatte er aber nicht ganz geerbt. Wenn er etwas Besonderes sah, drehte er den Kopf nicht nach dem Objekt, sondern nur seine Pupillen, dies auch, wenn er ein schönes Mädchen betrachtete. Mit dieser kleinen nicht–alemannischen Untugend verschaffte er sich den guten Ruf der "Harmlosigkeit." Dafür hat er mehr von der Bauernschläue mitbekommen. Wir werden dies später noch feststellen

Wenn ihm auch die Weihnachtsbeichte etwas gegen den Strich ging, ganz und recht mußte sie vollzogen werden, etwas Halbes machte der Joggeli nicht, wenn auch die Wege zum Ziel nicht immer gerade waren. Schon nach dem stillen Auftrag der Klementine machte er beim Säubern des Stalles und während der ganzen Futterzeit einen groben Überschlag von seinen verwerflichen Taten. Die schwereren hatte er noch gut im Kopf, weil meistens etwas Freude damit verbunden war, die leichteren faßte er mehr als pauschal zusammen. Jedenfalls am Abend vor Weihnachten ward alles wohl geordnet nach „leicht“, „mittelschwer“ und "etwas schwerer".

Die etwas "Schwereren" machten ihm doch ein bißchen Kummer. Der Herr Pfarrer von Eichsel kannte alle seine Schäflein, auch den Joggeli, und wenn er beim Beichthören auch ein weißes Tüchlein vor seine Augen hielt, der Joggeli mußte auffallen, denn er stotterte, auch wenn er leise sprach. So überdachte er nicht nur seine Sünden, sondern auch, wie er sie mit dem kleinsten Verlust an Ansehen vor seinem Beichtvater vortragen konnte.

Merken Sie etwas?  Von wegen "Bauernschläue".

Am Vorabend des Weihnachtsfestes zog er sich eine bessere baumwollene Hose an, schlüpfte in die grüne Lodenjoppe und setzte sich auch eine grüne Lodenmütze mit abklappbaren Ohrenschützern auf das frischgewaschene Haupt. Da draußen tiefer Schnee lag, zog er sich auch die dicken, guten Schuhe an und die hohen Ledergamaschen. Einen Wintermantel hatte er nicht, das war in der Zeit nach der Jahrhundertwende auf dem Lande noch Luxus.

In dieser mehr oder weniger winterfesten Aufmachung trat er vor seine Klementine und verabschiedete sich mit den zwei Worten: "I gang!" „'s isch recht“, antwortete sie, und weg war er. Auf dem unteren "ChilIweg" marschierte er durch den tiefen Schnee gen EichseI. Bei den Schneeverwehungen am "Semmetbrunne" und "Buck"- oder "Mägdebrunnen" kamen ihm die hohen Ledergamaschen gut zustatten, denn da waren meterhohe Schneeverwehungen, aber bei dem Seelenschmerz und der Hoffnung auf die göttliche Gnade merkte unser Joggeli nichts von den Naturgewalten, er hatte sich ganz in seinen inneren Auftrag vertieft. Um viertel vor Sieben kam er an der Kirche in Eichsel an. "So isch's grad recht", murmelte er vor sich hin, denn in seiner noch traurigen Seele saßen nicht nur wohlgeordnet seine Sündengruppen herum, in der dunkelsten Ecke wartete auch der aus der Bauernschläue entstandene Plan der Darbietung vor seinem ehrwürdigen Beichtvater.

An der Außenmauer des Glockenturmes klopfte er den Schnee von den Schuhen, schüttelte diesen auch von der Lodenjoppe und der Mütze. Im Läuteraum, in dem die vier Glockenseile herabhingen, blieb er stehen, aber nur einen Moment, dann öffnete er die Türe zum Kirchenraum ein bißchen, er wollte erst mal die Lage im Innern peilen. Seine Freude war groß, denn just an diesem Weihnachtsvorabend saß ein auswärtiger Herr Pater im zweiten Beichtstuhl. "Numme zue dem", sagte er leise und begab sich auf die richtige Bankseite, kniete sich in eine leere Bank und sah hilfesuchend zu den Bildern der drei heiligen Jungfrauen und der holzgeschnitzten .Dinkelberger Madonna". Wenn der Herr Pater ihn auch nicht persönlich kannte, so hatte er doch so ein bißchen Herzklopfen, Drum her mit dem zu Hause ausgedachten Plan, und der begann so: Während der noch angeblichen Andacht und der Reue schob er vorsichtig seine rechte Hand unter die Lodenjoppe, zog an der langen Haarkette die große Taschenuhr nach oben, um die genaue Zeit festzustellen, denn sie hing mit seinem Plan genauestens zusammen. Es waren noch zwei Minuten bis sieben Uhr, also die Zeit,

Mit einem Ruck stand er auf und begab sich zu des Paters Beichtstuhl. Andächtig kniete er sich dort nieder. Sein Unschuldsgesicht glich dem des kleinen pausbackigen Tiroler Posaunenengels mit dem lädierten rechten Schuh auf einem Sockel an der rechten Kirchenwand.

Er war aufgeregt und stotterte jetzt noch mehr als sonst, aber zur richtigen Zeit kam der rettende Glockenschlag für die siebte Abendstunde, und der ist in EichseI ziemlich lang. Erst kommen die vier "Dreischläge" zur Ankündigung der vollen Stunde und erst danach der volle Stundenschlag. Der Joggeli hatte diesen Umstand genau in seinen Plan einbezogen. "Viär mol drei macht zwölf und siebä d'rzu gitt nünzeh, das muess länge". So hatte er schon zu Hause kalkuliert

Die EichseIer Kirche hatte vor dem ersten Weltkrieg schöne und wertvolle Glocken. Im Kircheninnern dröhnte es jetzt nur so, und das war dem Joggeli gerade recht. Schon beim ersten Glockenschlag zuckte er zusammen, schaute wieder wie der kleine Tiroler Engel mit dem Loch im Schuh zu seinem ehrwürdigen Beichtvater hin, aber dann legte er los. Der Redefluß eines norddeutschen "Schnellschwätzers" hätte gegen seine Darbietung geradezu wie eine "Zeitlupenaufnahme" gewirkt. Bei den lauten Glockentönen konnte sicherlich auch der Herr Pater nicht genau feststellen, ob der Joggeli nur stotterte oder sprach. Jedenfalls schon vor dem Ietzten Glockenschlag waren alle "schweren Sünden" aufgesagt.
Das war Joggelis raffinierter Plan, vielleicht nicht ganz ehrlich, aber doch nicht sündhaft, denn es steht nicht in der "Schrift" und auch nicht in der Bibel geschrieben, daß ein Beichtkind während eines Glockenschlages eine Beichtpause einlegen muß. Das hatte sich auch der Joggeli schon zu Hause gut überlegt und sich vergewissert, ob er damit nicht aufs neue fehlen würde. Sein Gewissen in bezug auf das kleine Mogeln war also rein.

Als ihm der hochwürdige Herr Beichtvater nach der Beichte nur liebe, trostspendende und gute Worte mit auf den Weg gab, war unser Joggeli restlos glücklich. Sein Gesicht strahlte jetzt noch mehr als das des kleinen Posaunenengels Er ging beschwingt in die Bank zurück und betete, betete als Extrazugabe noch vier Vaterunser", eines für die lieben drei heiligen Jungfrauen, eines zur holzgeschnitzten "Dinkelberg-Madonna, eines für die lieben verstorbenen Eltern und das letzte für den so gütigen und hilfsbereiten hochwürdigen Herrn Pater. Dem "Sigrist", der an dem holzgeschnitzten Hauptaltar noch Weihnachtsvorbereitungen traf, nickte er beglückt zu, nahm seine Lodenmütze, das vor ihm liegende grobgedruckte Gebetbuch der Großmutter selig, das er in die rechte Seitentasche der Lodenjoppe schob, verneigte sich zum Hauptaltar und verließ die Wallfahrtskirche durch den Mittelgang, und das als glücklicher Mensch. Der Heimweg kam ihm jetzt viel kürzer vor. Die hohen Schneeverwehungen am "Mägdebrunnen" und "Semmetbrunnen" übersprang er. "Jetzt nichts wie heim in die warme Stube, zu Klementine und den Kindern."

Kluge Frauen wissen ganz genau, daß man die Männer in den Stunden der Buße und Reue vorsichtig behandeln muß, schon vorher recht nett zu ihnen sein muß, damit sie das stille "Aufmerksammachen" auf die Weihnachtsbeichte nicht überhören und danach auch wirklich beglückt und zufrieden in die warme Stube zurückkehren.

Klementine konnte zufrieden sein. Ihr Joggeli kam freudig zu den Seinen zurück, begrüßte die vier Kinder in der Stube, die alle auf der "Kunscht" saßen und ging danach zu seiner Frau in die Küche, die dort noch hantierte. Aber was sah unser Joggeli? In der großen Familienbratpfanne, aus der jeden Morgen die ganze Gemeinschaft die obligatorischen Bratkartoffeln mit dem großen Eßlöffel herausfischte waren diesmal frische "Erdöpfel", dazwischen "Eier im Anke" und in der Mitte ein Ring "Klöpfer".

„Gell de hesch jetz Hunger“, bemerkte Klementine, „'s isch alles für Dii, i richt d'rs jetz a, iß numme ghörig, du my Joggeli." Das Kosewort hat der frisch gereinigte Ehemann nicht überhört und legte dankbar seinen Arm um sein gutes „Wybli“. Danach lachten sie beide aus vollem Halse. – Was kann doch so ein Christabend schön sein, in der Stube strahlende, singende Kinder und in der Küche nicht minder glücklich die Eltern. Aber der Höhepunkt kam nach dem Essen: die Bescherung. Die Kinder bekamen Wollsachen, "Wynechtsbrötli", jedes einen kleinen Gummiball und alle zusammen einen Davoser Rodelschlitten. Klementine schenkt ihrem Joggeli ein Paar selbstgestrickte Wollhandschuhe und ein Paar "Stößli" und der Joggeli seiner Frau eine schöne, blauweiß karierte Trägerschürze. Auf einem Küchenhocker stand der geschmückte Weihnachtsbaum mit den Kerzenlichtern. Jetzt stellten sich alle um ihn herum und sangen die bekannten Weihnachtslieder. Der Joggeli sang die zweite Stimme und den üblichen ländlichen Nachgesang von zwei bis drei Tönen nach den einzelnen Liedabschnitten. Alle waren sie jetzt glücklich und wer von uns jetzt nicht auch mitglücklich ist, dem ist auch in der Weihnachtszeit nicht mehr zu helfen.

Nach der kleinen und erhebenden Familienfeier begab man sich in die Schlafkammer. Die vier Kinder, je zwei in einem Bett mit Strohsack, legten die Wollsachen und den Ball in die Bettmitte und schliefen auch schon bald beglückt ein. Auch der Joggeli zog sich seine "Wollstößli" an, denn es war kalt in der Kammer. Nur Klementine mußte ohne das Weihnachtsgeschenk schlafen gehen. Sie konnte ja die blauweißkarierte Trägerschürze schlecht über dem langen Nachthemd tragen, das noch von der Großmutter stammte und aus Leinen war.

Am nächsten Morgen, am Weihnachtsmorgen, mußten "Vadder" und "Mueder" früh aufstehen, beide wollten in ihrem fast engelhaften Zustande zur Frühmesse. Die Kinder schliefen noch. Um sieben Uhr war man vom Kirchgang wieder zurück. Der Weg von Adelhausen nach EichseI und zurück, durch hohen Schnee, war recht mühsam, aber man war so etwas ja gewohnt. Als die Kinder aufgestanden und der Joggeli vom Stall kommend in die Stube trat, ward der Festtagskaffeetisch reichlich gedeckt. Ein großer Gugelhupf, schon in ansehnliche Stücke geschnitten, der Kaffee, diesmal mit mehr Malzkaffee und weniger Zichorie, eine Blechbüchse mit Würfelzucker, eine Kanne mit heißer Kuhmilch und sechs große "Schüsseli", dazu die großen Löffel, standen wohlgeordnet da und entlockten den Ankommenden ein richtiges Festtagsschmunzeln.

Heute durfte man zwei Stückchen Zucker in die Tasse werfen, und Gugelhupf war ja genügend da. Der Joggeli bröckelte nach und nach drei Stücke von dem edlen Gebäck in den Kaffee und fischte die aufgeweichten Teile mit dem großen Löffel wieder aus dem "Schüsseli". Befriedigt strich er mit dem großen, roten Taschentuch die im herabhängenden Schnurrbart gebliebenen Kuchenteilchen ab, leckte Ober- und Unterlippe sauber und brachte mit dem Rücken des rechten Daumens die Bartzier wieder in Ordnung.

Der übrige Teil des hohen Festtages blieb auch weiterhin eingetaucht in Glück und Weihnachtsfrieden, und auch Sie sollen durch Ihre Mitfreude teilhaben an dem so schönen Weihnachtsgeschenk, das dem Joggeli nach seiner exakten Weihnachtsbeichte, der Klementine in ihrer Sorge um das leibliche und seelische Wohl der Familie und den dankbaren Kleinen beschieden war. Dafür danke ich Ihnen und wünsche Ihnen allen ein ebenso schönes und glückliches Weihnachtsfest.