Geschrieben von Daniel Kähny

Als "positiver" Mensch hat man plötzlich viel Zeit, Dinge im Hause zu erledigen, wenn die Symptome nur leicht sind. Dokumente aus dem 200jährigem Nachlass aus der Rheintalstr. 3 gibt es noch genug. Beim Aussortieren eines Kartons, der von Onkel Hermann stammt, ist mir folgendes Flugblatt vom 5. April 1919 in die Hände gefallen, was gut zum Viren-Thema passt.

Da war doch was.

Die Spanische Grippe verbreitete sich in drei Wellen zwischen 1918 und 1920. Auch Deutschland war dabei betroffen. In diesem Kontext muss dieses Flugblatt entstanden sein.

Flugblatt vom 5. April 1919

Schon in diesem Flugblatt wurde zu Hygiene und Absonderung gemahnt. Ein Abschnitt kam mir jedoch komisch vor. Es wurde zur Einnahme von "angenehm schmeckenden Formamint-Tabletten" geraten, welche "nach heutigem (Anm. 1919) Stande der Wissenschaft den besten Schutz gegen die Übertragung der Seuche gewähren!". Ein Wundermittel, was ich vielleicht auch nehmen sollte? Ganz im Gegenteil; nach heutigem (Anm. 2022) Stande der Wissenschaft ist das Mittel sehr giftig. Es enthält nämlich Formaldehyd, welches sich zwar zur Desinfektion, jedoch maximal äußerlich eignet. Vielleicht hatte sich der ehemalige US-Präsident bei seiner Aussage zur Einnahme von Desinfektionsmittel auf den damaligen Stande der Wissenschaft (1919) bezogen ;-)

Laut eines Artikels von Prof. Dr. Andreas Winkelmann zu diesem Thema (erschienen auf der Webseite des Deutschen Medizinhistorischen Museums), enthielt 1 Tablette etwa 10 mg Formaldehyd. Das dürfte ausreichen, um eine Maus umzubringen. Der maximale Grenzwert der Luft in Inneräumen beträgt laut Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) 100 Mikrogramm Formaldehyd pro m3 Luft. Laut EU-Verordnung 605/2014 wird Formaldehyd als krebserregend Kategorie 1B eingestuft.

Ob Onkel Hermann jemals von diesen Pillen eingenommen hat, weiß ich nicht. Ich sehe nun davon ab, dieses Mittel auszuprobieren, kuriere mich in Ruhe aus und schreibe wieder gehaltvollere Artikel.

Quellen:

Deutschen Medizinhistorischen Museums: Artikel von Prof. Dr. Andreas Winkelmann
EU-Verordnung 605/2014 vom 5. Juni 2014