geschrieben von Daniel Kähny
Mein Ziel ist es jede Woche einen kleinen Karton des historischen Nachlass meiner Vorfahren durchzusehen und aufzuarbeiten. Dabei ist mir heute ein Dokument aufgefallen, dass erst auf den zweiten Blick wirklich interessant ist. Wir hatten ja schon über die Gründung des Militärvereins Adelhausen im Jahre 1895 berichtet.
Dieses Programm zur "Erinnerungsfeier an die Märztage des Jahres 1848" des Freisinnigen Vereins Lörrach zeigt, dass der Geist der Revolution auch 50 Jahre danach noch in vielen Köpfen vorhanden war. Eine Abordnung des Militärvereins Adelhausen hat an dieser Feier auch teilgenommen. Doch was ist an diesem Programm nun interessant?
Das Programm ist ein Faltblatt (4 Seiten) und die Rückseite ist unbedruckt. Meine Schwester sagt immer: "Du muasch gnau luege. Maischdens liegt öbbis zwüschedrin oder s'stoht öbbis druf". In diesem Fall "stoht öbbis druf". Die Seite ist in gut leserlicher deutscher Handschrift dicht beschrieben. Der Anfang des ersten Satzes lautet: "Seraphin Baumgartner geboren den 10ten Februar 1827 wurde im Juli 1847 zum Militär gezogen und ..."
Ich konnte es kaum glauben. Es sind die "komprimierten" Erinnerungen meines Ur-ur Großvaters Seraphin Baumgartner an seine Zeit beim Militär während und nach der badischen Revolution. Die genaue Transkription des Textes füge ich später noch dem Artikel zu. Der folgende Abschnitt gibt seinen Text sinngemäß wieder.
1847 kam er zur zweiten Festungsbatterie nach Rastatt. Als die Revolution 1848 ausbrach, schloss sich sein Regiment den Aufständischen an. Am 29. Juni griffen die Preussen die Festung an und sie wurde geschlossen (belagert). Während der Belagerung wurde die Festung durch feindliche Artillerie heftig beschossen. Das Feuer wurde durch eigene Geschütze heftig erwidert. Die Festung wurde nach vierwöchiger Belagerung an die Preussen unter der Bedingung des freien Abzugs der Soldaten übergeben. Diese hielten sich jedoch nicht an die Abmachung und alle wurden als Gefangene in die Kassematten zurückgeführt. Nach zehnwöchiger Gefangenschaft wurden die einfachen Soldaten auf freien Fuß gesetzt, die Anführer jedoch vor ein Kriegsgericht gestellt. Teilweise wurden diese zum Tode veurteilt und standrechtlich erschossen, teilweise zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Freiheit von Seraphin dauerte jedoch nicht lange. Schon im März 1850 wurde sein Truppenteil wieder einberufen und einem preussischen Kommando unterstellt. Am 16. Juli 1850 wurde sein Truppenteil von Rasttat nach Brenzlau verlegt. Nach einem siebenwöchigen Fußmarsch über Darmstadt, Frankfurt, Eisenach, Gotha, Magdeburg, Helberstadt, Berlin und Potsdam erreichten sie Brenzlau. Nach vierwöchigem Aufenthalt kam der Befehl von Erzherzog Johann von Österreich Preussen zu verlassen und wieder nach Baden zurückzukehren. Er schreibt "mit Freuden marschierten wir ab". Diese Mal ging es über Westfalen und Rheinpreussen nach Köln. Nach einem Rasttag ging es Rheinaufwärts über Koblenz bis nach Mainz. Nach einem beschwerlichen Marsch kamen sie schliesslich in Mannheim an und wurden dann wieder in die "wohlbekannte" Festung Rastatt verlegt. Nach vierwöchigem Aufenthalt in Rastatt bekam Seraphin seine Entlassungspapiere und durfte nach Hause. Er schreibt "Hiermit war meine Dienstzeit beim Militär beendet".
Seraphin marschierte (zu Fuß!) innerhalb eines halben Jahres quer durch Deutschland von Adelhausen nach Berlin und zurück. Der Routenplaner berechnet dafür in der Summe 1750 km Autobahnstrecke. Allein das ist schon eine reife Leistung. Seraphin starb am 7. September 1900 in Adelhausen im Alter von 73 Jahren.